Mittwoch, 1. April 2020

Umbrüche

Liebe Leserin, lieber Leser

Wir spazierten im dichten Schneetreiben, eisiger Wind, minus Grade. Das Paar, das uns entgegenkam war angetan von unserer Hündin - und so blieben wir stehen. Bald entstand ein Gespräch mit Tiefgang. Die beiden waren aus Ostdeutschland. Die Folgen des Mauerfalls beschäftigen besonders die "Ossis" bis heute. "Wir sind damals am Morgen in einer ganz anderen Welt erwacht!" - sagte uns die Frau. Sie hat als Juristin eine Kaderstellung und arbeitet bis heute in ihrem anspruchsvollen Job mit Ingenieuren zusammen. Beruflich ging es für sie zum Glück gut weiter - aber für viele Menschen bedeutete diese andere Welt auch neue Arbeitsbedingungen und ganz andere wirtschaftliche Verhältnisse.




Auch wir sind vor rund 14 Tagen morgens in einer anderen Welt erwacht. Es gelten andere Regeln. Früher war ich unanständig, wenn ich wegen einer Erkältung jemandem die Hand nicht reichen wollte - heute kann ich es mir nicht mehr leisten, jemandem zu nahe zu treten... Hand geben? Undenkbar!

"Wir sind morgens in einer ganz anderen Welt erwacht!" - Die Realität ist uns also nicht einfach vorgegeben - Menschen schaffen sie immer wieder neu. Die meisten von uns, die "gewöhnlichen Bürgerinnen und Bürger" können da nicht gross mitreden - aber betroffen sind wir alle. Ich treffe eine bekannte Familie bei der Station Oberdorf. "Wenn ich morgens erwache, dann denke ich manchmal: Ist es wirklich so, dass meine beiden Buben daheim bleiben und mein Mann homeoffice macht? Am Morgen habe ich manchmal das Gefühl, ich sei im falschen Film!

Ich denke an all die selbstständig Erwerbenden, denen "der Laden auf unbestimmte Zeit dicht gemacht wurde". Ein Hilferuf meiner Craniosakral-Therapeutin und ein Skype-Angebot meiner Gesangslehrerin, ein Hilferuf der Schweizer Kaffeeröstereien: Bitte kaufen Sie Schweizer Kaffee... Jede und jeder von Ihnen ist sicher noch mit ganz anderen Geschäften verbunden und hat noch viele weitere Hilferufe und Meldungen bekommen. - Am Morgen sind alle KleinunternehmerInnen in einer ganz anderen Welt erwacht.

"Wir müssen uns neu erfinden", "kreative Lösungen finden"... Die einen schaffen das leicht und schnell - andere stehen unter Schock und müssen das Unbegreifliche zuerst einmal begreifen.

Was hilft Ihnen persönlich, um in den veränderten Alltagsbedingungen zu leben? Um dennoch etwas Sinnvolles zu tun? Was hilft Ihnen, sich in der anderen Welt einzurichten?





1 Kommentar:

  1. Herzlichen Dank Sonja für die vielen, in den schwierigen Zeiten aufmunternden Beiträge.
    Werner

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