Freitag, 10. April 2020

Schriftsteller über Kirche

Karfreitagmorgen. Die Glocken läuten wie gewohnt um 8.20 und um 9.20.
Sie läuten zu einem Gottesdienst, der nicht stattfindet - für Gemeindemitglieder, die keinen Gottesdienst besuchen können.

Am Wynaufer treffe ich viele Bekannte und auch Unbekannte. Wir tauschen unsere Erfahrungen und Gedanken zur Lage aus.

Am Nachmittag fällt mir ein Text von Peter Bichsel zu. Ich finde ihn nicht nur heute, sondern auch bei all dem, was ich die letzten Jahre durch beobachten kann, bedenkenswert:

Was wäre ich ohne sie?

Ich weiss nicht, was ich wäre ohne sie: von ihr habe ich die Lust zur Minderheit, das christliche Versprechen. Ich meine damit, dass das Versprechen des Jesus von Nazareth für mich das Versprechen einer Gegenwelt ist, und dieses Versprechen hat mich für immer geprägt, weil ich zu dessen Einlösung keine Mehrheit brauche, weil es in der Minderheit und Machtlosigkeit einlösbar ist- dies im Unterschied zu allen politischen Versprechen, die nur mit der Mehrheit einlösbar sind....
Meine Dankbarkeit verbietet mir, ihr meinen Obolus zu entziehen. Die Kirche hat irgendwo immer noch meine Sympathie - nicht etwa als Rückversicherung, aber als Erinnerung. Ich erinnere mich, und sie erinnert mich. Peter Bichsel

(aus: Schulmeistereien, Frankfurt 1985, S. 118f.)

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